Dr. Philipp Schmid ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Psychology and Infectious Disease Lab der Universität Erfurt und Doktorand am Center for Empirical Research in Economics and Behavioral Sciences. Seine Forschungsarbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit Strategien zur Korrektur von Falschwissen. Fachpublikationen und Vorträge: https://philippschmid.org
Effektive Strategien im Umgang mit Wissenschaftsleugnern– Eine psychologische Perspektive
Impfungen sind sicher und effektiv. Menschen verursachen globale Erderwärmung. Die Evolutionstheorie erklärt die Vielfältigkeit von Lebensformen. Keiner dieser Fakten ist in wissenschaftlichen Fachkreisen umstritten. Dennoch zweifeln Wissenschaftsleugner den Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnisse öffentlich an und nutzen öffentliche Diskussionsforen im Internet und in klassischen Medien, um Falschinformationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Um trotz fehlender Evidenz überzeugend zu wirken, bedienen sich Wissenschaftsleugner bei der Verbreitung von Falschinformationen fünf rhetorischer Hilfsmittel. Sie stellen die Faktenlage in einer verzerrten Weise dar und nutzen logische Fehlschlüsse (misrepresentation and false logic). Sie erwarten Unmögliches von der Wissenschaft (impossible expectations). Sie vermuten Verschwörungen von Industrie und Wissenschaft (conspiracy theories). Sie selektieren einzelne Befunde aus der Gesamtheit der vorhandenen Datenmenge (selectivity). Und sie ziehen Quellen heran, die aufgrund fehlender wissenschaftlicher Expertise oder Integrität nicht als seriös gelten (fake experts). Der Schaden dieser rhetorischen Mittel ist eine Abnahme positiver Einstellungen der Öffentlichkeit gegenüber evidenzbasierten Maßnahmen wie beispielsweise dem Impfen.
Das WHO Regional Office for Europe entwickelte im Zuge dieser Problematik einen Ratgeber für Sprecher von Gesundheitsbehörden. Der Ratgeber stellt zwei Strategien zum Kontern von Falschwissen in öffentlichen Diskussionsforen vor, die im Rahmen eines Artikels des Fachjournals Nature Human Behaviour auf ihre Effektivität geprüft wurden. Zum einen können Fürsprecher von Wissenschaft die Fakten darlegen (topic rebuttal) oder Fürsprecher demaskieren die rhetorischen Techniken der Wissenschaftsleugner (technique rebuttal). Beide Ansätze erweisen sich als hilfreiche Strategien im Kampf gegen Falschinformationen.
Vom Autor des Ratgebers und der empirischen Evaluationsstudie werden in diesem Vortrag die Herausforderungen im Umgang mit Wissenschaftsleugnern am Beispiel der individuellen Impfentscheidung aufgezeigt. Neben Einführungen in die Gestaltung und Wirkweise von klassischen Korrekturen von Falschwissen (debunking) und der „Impfung“ gegen fake news (inoculation) wird vor allem die konzeptuelle und empirische Befundlage zum Kontern von Falschwissen in öffentlichen Diskussionsforen (rebuttal) thematisiert.